Freitag, 29. Juni 2012

Reiseexpressionen 5: Zurueck in der Zivilisation

Aufzeichnungen vom 30. April:

Wieder zurueck in der Zivilisation. Das Farmleben wirkt noch nach. Jetzt verstehe ich ein wenig, was Marx mit dem Wort Entfremdung gemeint haben muss. Denn alles, was wir in unserem zivilisierten Leben zu uns nehmen kommt von anderen, ist uns fremd, kommt zu uns von fremden und nicht von Bekannten. Es gibt beinahe nichts, was wir selber fuer uns anbauen oder herstellen. Wieviele Dinge sind uns wirklich bekannt, von welchen wissen wir ueber den Herstellungsprozess bescheid oder was bekommen wir von Freunden?

Interessant ist, dass man das als entfremdete Person, also als Person, die immer in der Zivilisation gelebt hat, gar nicht merkt. Erst wenn man das andere erlebt hat, wenn man naeher an der Natur lebt, selber sein Besteck herstellt, gar selber sein Essen herstellt, faellt einem auf, was Entfremdung bedeutet. Man benuetzt fremde Tische, fremde Autos, fremdes Essen, welche ueber globale Supply-chains, ueber viele Grenzen hinweg, mit mehreren Eigentuemeruebergaengen, durch viele Haende gehen.

Dann benuetzt man ein fremdes Klo, das von fremden Haenden geputzt wird. Diese Fremdheit macht erst dann Sinn, wenn man das Eigene einmal erlebt hat. Man spuert seine Ketten erst, wenn man sich bewegt. Marx musste das Andere erlebt haben, um so einen scharfen Blick fuer dieses Phaenomen zu haben.

Ein Permakulturbauer erzählt...


Wir finden die Farm im Norden Thailands, als wir von Pai in Richtung Chiang Mai fahren und exakt beim Grenzstein, welcher 6 km anzeigt, einbiegen. Ein großes, gelbes Schild zeigt "Tacomepai", den Namen der Farm an, welche von einem über 60 Jahre alten Farmer namens Sandot betrieben wird. Er heißt uns sofort willkommen, indem wir in den Teich schwimmen gehen. Danach können wir uns ein Haus aussuchen. Die Häuser sind alle von Freiwilligen über die Jahre hinweg erbaut worden - jedes repräsentiert den Stil eines Stammes der Gegend.

Bei km 6 von Pai nach Chiang Mai zeigt ein gelbes Schild den Weg zur Farm

Sandot, der über 60 Jahre alte, aber topfite Farmer, erklärt die Reisernte
Unser Haus, erbaut im Stil des Stammes Karen

Das Leben auf der Farm ist ein Wahnsinn. Es zeigt uns, wie faire Gesellschaften funktionieren. Jeder hier kann ein Projekt starten, kann anfangen, etwas aufzubauen. Die Leute arbeiten einfach so zusammen. Dann am Abend treffen sich alle in der Küche und es wird zusammen gegessen. Es ist egal, ob man nur Aufträge für jemanden anderen erledigt hat, oder ob man selber ein Projekt leitet. Jeder bekommt Essen, jeder hat ein Dach über dem Kopf. Dinge oder Arbeiten müssen nicht in einem ökonomischen Sinn bewertet werden. Man muss nichts gedanklich in Geldeinheiten pressen, also bepreisen. Weil die Arbeit, die getan werden muss, wird einfach getan. Kein Verhandeln, keine Konkurrenz, kein Gewinnstreben.
 
In der Gemeinschaftsküche wird am Abend zusammen gekocht und gegessen
Das Essen ist manchmal etwas ausgefallen. Aber wer hat schon jemals einen selbst gefangenen Frosch gegessen, welcher in selbst gebauten Tellern und mit selbst geschnitzten Löffel serviert wurde?

Von diesem Land können wir alle leben. Nur das Wasser und die Elektrizität kommen von draußen. Strom würden wir eigentlich nicht brauchen. Und das Wasser wird auch eigentlich auf der Farm gereinigt und trinkbar gemacht. Dafür fließt es durch eine große Tonne, in welcher Steine, Asche und Sand sind. Unten kommt Trinkwasser heraus.

Hier sieht man mich bei einem Salto in den Teich. Man beachte das Klo mit wunderbarer Aussicht!

Alles auf der Farm scheint ausgeglichen, ausbalanciert zu sein. Zum Beispiel: Sandot erzählt uns, dass alles so gebaut wurde, dass es möglichst wenig Erhaltungsaufwand braucht. Die Dinge arbeiten alleine und regulieren sich möglichst selbst. Das steht selbstredend im Gegensatz zu unserem täglichen Leben in der Marktwirtschaft, wo jedes Unternehmen Kunden braucht, die möglichst abhängig von ihm sind. Firmen tendieren dazu, Dinge so zu produzieren, dass sie möglichst viel Erhaltung brauchen, oder die man nach der Verwendung überhaupt wegwirft, wie zum Beispiel Rasierklingen oder gar Mobiltelefone. Planned obsolescence heißt das Schlagwort. Auf der Farm ist so ein Gedanke fremd.

Sowohl ökologisch, als auch sozial nachhaltig gebautes Blätterdach

Aber warum baut Sandot dann keine Dächer, die 200 Jahre halten? Warum wird das Dach aus großen Blättern gefertigt? Es muss alle 5 Jahre erneuert werden. Seine Antwort: Dadurch kann er alle fünf Jahre neuen Leuten zeigen, wie man solche Dächer baut. Es ist also eine Art soziale Nachhaltigkeit, an welche Sandot hierbei denkt. Denn in 200 Jahren würde sich niemand mehr erinnern, wie die Dächer gebaut wurden, wenn sie aus anderen Materialien gebaut wurden. Und: Die Blätter können dann als Dünger verwendet werden. Dieses Nachhaltigkeitsdenken haben wir in unseren westlichen Kulturen schon völlig verlernt.

Bambusbrücke

Da Wasser von draußen kommt, muss auch etwas nach außen gegeben werden, sonst wären Geben und Nehmen nicht ausbalanciert. Das Geben wird durch den Tourismus erfüllt. Touristen wie wir kommen auf die Farm und zahlen eine kleine Gebühr von 2 Euro pro Tag für die Unterkunft. Auf der Farm kann man dann lernen und viel erfahren. Ohne das Geld der Touristen könnte nichts von außerhalb der Farm bezogen werden.
Auch die Fauna scheint gut zu gedeihen...
Frosch im Badezimmer
...und ein Gecko

Geben und Nehmen müssen dabei nicht direkt erfolgen. Wenn man zum Beispiel die Frucht eines Baumes genießt, gibt man nichts augenblicklich zurück. Aber idealerweise hat jemand vorher die Pflanze bewässert. Und nach der Konsumtion der Frucht werden die Samen der Pflanze verteilt. Es ist also auch ein indirektes Geben und Nehmen möglich, eines, dass auf lange Sicht und über den individuellen Lebenszyklus hinsausgehend durchgeführt wird. Aber es hilft allen. Die Früchte, die wir essen, haben unsere Vorgänger bewässert. Der Garten, den wir anlegten, kommt unseren Nachfolgern zugute. Diese langfristige Art des Austauschs scheint mir eine ausgeglichenere Art des Zusammenlebens zu sein, als es der direkte Austausch der heutigen Marktwirtschaft erzwingt. Es ist eine Form des Gebens und Nehmens über die Generationen hinweg, ohne dass Zinsen anfallen würden.

Von uns angelegter Garten unter einem Mangobaum

Auf die Frage, warum der Zaun auf seinem Grundstück so schäbig sei, antwortet Sandot: “It is better to make friends, than a fence!” Wenn jeder um dich herum dein Freund ist, wird er dich beschützen und du ihn. Wenn du nur von Feinden umgeben bist, hilft auch der höchste Zaun nichts. Vielleicht sollte man diese Strategie mal den Leuten im Nahen Osten erzählen?

Sogar eine nachhaltig gebaute Schaukel gibt es

Als Sandot mit der Farm anfing, sagten die Leute, er wäre verrückt. Heute inspiriert er Leute, die aus der ganzen Welt kommen. Wie gesagt, die Arbeit hier ist ein Wahnsinn! Er zeigt uns mit seiner Arbeit eine Form des Nachhaltigkeitsdenken, welches uns als fremd und lange vergessen vorkommt. Vielleicht ist es an der Zeit, uns wieder rückzubesinnen, um unseren Fortschritt nachhaltiger zu gestalten? Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Gesellschaftssysteme wieder auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit umzustellen? Von einem Bauern im Norden Thailands konnten wir überraschend viel darüber lernen.

Waschbecken
Sandot beim Unterricht

Freitag, 25. Mai 2012

Reiseexpressionen 4 - Songkran, Bangkok und Tempel

Aufzeichnungen vom 13. April:

Bangkok ist eine schwierige Stadt. Wenn man nichts konsumiert oder in einem Shoppingcenter flaniert, kann man sich nur dem Chaos hingeben. Zumindest wirkt es wie Chaos, vielleicht ist es auch eine sehr genaue, nur fuer mich undurchschaubare Ordnung?!
Aber ansonsten geniesse ich es, am Rand einer riesigen Strasse zu sitzen und das schaerfste Essen der Welt mit einer Gabel in der linken und einem Loeffel in der rechten Hand in mich hineinzuschaufeln.

Songkran, das thailaendische Neujahr:


Es ist witzig: Ein Fest, bei dem sich die ganze Stadt, nein das ganze Land, mit Wasser vollspritzt. Das neue Jahr wird so begruesst. Keine fuenf Minuten und man ist pitschnass, aber wirklich pitschnass.




Dann geht man mit halb nasser Kleidung in einen Tempel. Eine bizarre Szene.

Riesige Tempel, riesige Buddhas, alles aus Gold.Gold scheint hier genauso wichtig zu sein wie in den katholischen Kirchen.

 Hier wird Religion gelebt. Moenche in orangenen Kutten sprechen eintoenig vor sich hin. Es sind sehr kontemplative Orte. Warum es immer institutionalisierte Religionen braucht und warum sie immer mit Gold in Verbindung stehen, bleibt mir ein Raetsel.

Dienstag, 22. Mai 2012

Leselust

Aufzeichnungen vom 12.April:
Der Plan, hier nichts zu lesen, geht irgendwie nicht auf. Nachdem ich "Wigges Tauschrausch" fertig gelesen hatte, war meine Leselust nur gesteigert. So habe ich inzwischen 2 neue Buecher, die vielversprechend sind.


Warum Reisen?

Fuer Patrick und mich ist Reisen ein Wert, der uns von unseren Eltern mit gegeben wurde. Aber warum ist Reisen fuer uns und unsere Eltern, ja sogar Grosseltern so wichtig?

Als Kinder haben wir uns manchmal gefragt, warum wir denn jetzt ueberhaupt wegfahren muessen, wenn es doch zuhause eh so schoen ist und all unsere Freunde doch hier sind. Was soll man denn dort machen in der Ferne?

Dann habe ich gelernt, dass es eigentlich auch immer ganz lustig ist, woanders hin zu fahren und etwas Neues kennen zu lernen. Was immer das Neue auch ist. Irgendwann wurde es dann zur Selbstverstaendlichkeit und ich habe die Frage nach dem "Warum" ganz einfach ausgeblendet. Als ich dann Menschen getroffen habe die meinten: "Warum sollte man denn in den Urlaub fahren wenn man es doch eh so schoen zuhause hat. Es ist doch besser sich etwas um das Geld zu kaufen um das Zuhause noch schoener zu machen, als es in einem Urlaub zu verplaempern.", dachte ich: bloede Frage..! Oder?.. "Na man faehrt halt in den Urlaub weil sich das so gehoert und weils so schoen ist... ausserdem was waere denn das fuer ein Sommer ohne Urlaub?"

Richtig mit der Frage beschaeftigt hab ich mich dann doch wieder nicht. So verging die Zeit. Ich bereiste Italien, Kroatien, Irland, Ungarn, Deutschland, Niederlande, England und die USA. Und doch: die Frage nach dem Warum konnte ich noch immer nicht ganz beantworten. Mit dem aelterwerden hatte ich jedoch gelernt, dass es unterschiedlichste Arten zu Reisen gibt. Folgende Arten habe ich kennengelernt: Sprachreisen, Kulturreisen, Geschichtsreisen, Gammelreisen, Braeunungsreisen, Abenteuerreisen, Sporturlaub, Saufreisen, Partyreisen, Entdeckungsreisen und jemand hat mir von Arbeitsreisen erzaehlt. Und was ist mit Selbstentdeckungsreisen..?

Ich glaube, Selbstentdeckungsreisen koennen Bestandteil jeder Reise sein.
Nach 4 Jahren Ausbildung war fuer mich klar: ich muss weg! Weg aus dem immer gleichen Umfeld in Oesterreich. Weg von dem Allbekannten, Immerverstaendlichen. Aber warum? Und warum so lange?Warum nicht lieber das Geld sparen fuer die neue Wohnung?
Warum muss alles immer einen Grund haben?

Aber jetzt hab ich verstanden.
Es hat einen Grund. Reisen ist eine andere Art der Bildung. Und sie kann auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Aber auf dieser Reise geht es mir glaube ich vor allem um eine Selbstentdeckungsreise.
Dieses weg- und in die Ferne fahren hilft mir Abstand zu gewinnen. Abstand zu meiner Vergangenheit, zu meinen Entscheidungen fuer die Zukunft und vor allem zu meinem Alltag. Hier in der Ferne habe ich nun die Chance, all das zu ueberdenken, es ein bisschen objektiver betrachten zu koennen und ich habe die Moeglichkeit, zu entscheiden, was ich, wenn ich zurueckkomme so weiter machen will wie bisher und was ich mit meiner Abreise hinter mir gelassen habe. Ich weiss, dass ich auch auf dieser Reise nicht alle Fragen, die ich so zu mir selbst, meinem Leben und der Welt habe, beantworten werde koennen. Sondern im Gegenteil dass warscheinlich viele neue Fragen entstehen. Aber diese Fragen werden mir helfen in der richtigen Richtung weiter zu fragen.. Also meine Antwort zu dem Warum ist: Reisen ist eine Investition in sich selbst, denn das Leben dreht sich doch um das "Sein" und nich um das "Haben". Denn ich bin, wer ich bin, und nicht was ich besitze. Denn nimmt man beim reisen nicht immer den bequemsten Weg, wird man zu 90% 100x mehr aufregende Dinge erleben und man lernt, wie wenig man wirklich braucht zum gluecklich sein!

Dienstag, 1. Mai 2012

Verrueckte Taxifahrt

Merke: Steige nie bei jemandem ins Taxi, bei dem das Heck herunterhaengt! Der Typ ist wie ein verdammt Geisteskranker gefahren, wir hinten drinnen um unser Leben bangend, keine Gurte zum Anschnallen. Er faehrt zu knapp auf, hupt, gibt Lichthupe, ueberholt, obwohl wer entgegenkommt...

Dann ist es vorbei und wir haben zum Glueck ueberlebt.

Sonntag, 29. April 2012

Reiseexpressionen 3

Aufzeichnungen vom 7.April:

Endspannung auf Ko Wai. Mit dem Boot heruebergefahren. Die schoenste Aussicht der Welt, direkt am Strand, Postkartenansicht. Endlich mal Ruhe.


 Es gibt keine Strasse, nur einen kleinen Wanderweg. Keine Autos, keine Mopeds, kein Internet. Im Norden sieht man die andere Insel. Ein wenig teurer ist es hier und die Auswahl beschraenkt sich auf zwei Restaurants. Tourist zu meiner rechten hustet, er trinkt ein LEO (=thailaendisches Bier) und liest Ken Follett. Der Kellner hat lange Haare und versteht nur die Worte auf Englisch, die auch auf der Karte stehen. Sonst keine. Jetzt hat er ueberraschend eine leere Flasche unter unseren Tisch gestellt, aus der Rauch aufsteigt. Vermutlich gegen die Mosquitos. No me moleste, mosquito!

Ein ganz weisser Gecko klettert ueber das Gelaender. Ich wundere mich, dass es schon um halb sieben dunkel wird. Und so schnell. Kaum ist die Daemmerung da, ist die Sonne schon untergegangen.



Jetzt sitze ich ganz am Ende des Stegs. Er ist zusammengeschustert, vermutlich mit Holz der Insel. Beleuchtet, etwa 1,5 Meter breit. Rundherum ist nur schwarz. Schwares Meer, schwarze Nacht. Oben Sterne, in der Ferne Lichter der anderen Inseln. Es ist wie auf einer Theaterbuehne, denn die Lampen wackeln im Wind und manche Stangen werden von den Wellen bewegt. Man hoert nur das Rauschen der Brandung und leise einen Generator zur Stromerzeugung.



Was uns so fasziniert hier ist das Tierleben. Ob es ein Gecko ist, der einen grossen Kaefer verschluckt oder die unzaehligen Krabben am Strand, die sich vor uns in ungeheurer Geschwindigkeit verstecken oder der Einsiedlerkrebs, der mitten am Weg krabbelt oder der groesste Nachtfalter, den ich je gesehen habe oder ein Kollektiv an kleinen roten Spinnen, die ein Netz in meine Badehose gewebt haben - es gibt viel Faszinierendes zu sehen!